Der patagonische Hase
A**E
Wichtiges Zeitdokument
Es ist so eine Sache mit den Autobiographien alter Männer. Schon während der Lektüre fühlte ich mich an zwei andere Geistesgrößen und ihre Aufzeichnungen erinnert: Pablo Nerudas "Ich bekenne, ich habe gelebt." Und an Elias Canettis "Die gerettete Zunge." Canetti ist kaum zu lesen: Selten habe ich sich jemanden so beweihräuchern sehen. Neruda ist kaum besser und Lanzmann steht dem auch nicht nach.Er hat sicher ein aufregendes Leben gehabt, aber scheinbar sind alle wichtigen Dinge im Frankreich in den 50gern nur mit seinem Zutun möglich gewesen. Ob es der Titel eines Buches von Simone de Beauvoir ist,die Herausgabe einer Zeitschrift, Sartres Liebesleben.Ohne Lanzmann im Vordergrund, im Hintergrund oder mittendrin lief nichts.Selbst die Einengung des alten biblischen Begriffs "Shoah" für den Holocaust hat er zu verantworten. Und dazu scheint er mit einer unglaublichen Naivität durchs Leben gewandert zu sein: Ob er mit seiner Geliebten Beauvoir in Espadrilles Gletscher besteigt oder mit einem alten Simca durch die südalgerische Wüste fährt: Warnungen scheinen für ihn nicht existent gewesen zu sein. Dazu versucht er in den 50ern in Pjöngjang noch schnell nebenher eine nordkoreanische Krankenschwester zu verführen. Was das damals für die junge Frau bedeutet hat, kann man nur erahnen. Er war halt ein scharfer Hecht, zumindest scheint er das dem Leser auf jeder Seite klar machen zu wollen.Ich habe keinen seiner Filme gesehen. Nach der Lektüre des Buches muss ich sagen: leider. Die wichtigste Boschaft, die ich trotz dem ganzen eitlen Selbstlob aus diesem Buch ziehe,ist die, dass er wohl wirkllich ein hervorragender Regisseur war, ein überaus mutiger Journalist (er hat deutsche Altnazis mit versteckter Kamera in ihren Privatwohnungen besucht und sie entlarvend interviewt) und eine wichtige Geistesgröße im aufgewühlten Frankreich der 50ger, als der Algerienkonflikt Frankreich zu zerreissen drohte.Man muss sich bei der Lektüre eine ironisch-kritische bewahren, sonst nervt das Buch an manchen Stellen. Manchmal ist er dazu noch fast unerträglich pathetisch und voller Selbstmitleid. Einmal liegt er zum Beispiel in einer Drehpause ohne Buch auf einem Bett, grübelt über die schwierige Situation, in die er gerade geraten war und meint schließlich, das alles wäre noch viel schwieriger zu etragen gewesen, hätte er da schon gewusst, dass seine Mitarbeiterin zwanzig Jahre(!) später an Krebs sterben würde. Bei solchen Stellen hätte es manchmal eines mutigen Lektors oder Lektorin bedurft. Trotz aller Kritik: 5 Sterne. Das Buch ist ein überaus wichtiges Zeitdokument unter anderem für die Situation der französischen Juden im 20. Jahrhundert.
P**W
Faszinierender Lebensbericht eines kritischen Zeitzeugen
Faszinierender Lebensbericht eines kritischen Zeitzeugen und engagierten Aktivisten, der an entscheidenden Stationen des "Zeitalters der Extreme" - so Eric Hobsbawm - präsent war Das Zeitalter der Extreme: Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts .Der Filmemacher des epochalen Werkes "Shoa" führt uns auf eine Zeitreise, die nicht nur den Wahnsinn dieser Zeit, sondern auch die Abgründe menschlichen Handelns insgesamt eindrücklich vor Augen führt. Wer mehr darüber wissen will, sollte diesen spannenden Bericht, der zugleich ein literarisches Meisterwerk ist, lesen.Prof.Dr. Olaf-Axel Burow Universität Kassel
A**H
Unglaublich spannend
Dieses Buch kann man einfach nicht aus der Hand geben... Ein unvorstellbar interessantes und vielfältiges Leben mit so vielen unterschiedlichen Etappen, dass es bei Anderen für 10 Leben reichen würde. Dazu ein sehr guter, eigenständiger Stil, ein verblüffender Beginn und die Begegnung mit vielen Personen, die man aus anderen Werken kennt. Schade, dass es nicht viel mehr von Lanzmann zu lesen gibt!
L**.
Lesenswert und ehrlich.
Das Buch kam pünktlich und wie beschrieben. Inhaltlich ist es interessant, gerade auch als Schilderung des Lebens eines mutigen Menschen, der sich den Herausforderungen des 20. Jahrhunderts, zumal als Jude, gestellt hat. Lanzmann schreibt ehrlich und völlig unprätentiös.
M**K
Eine interessante Lebensgeschichte - leider anstrengend zu lesen
Ich will gar nicht sonderlich ausschweifend auf den Inhalt eingehen, Claude Lanzmann hat zu viel erlebt und zu viel getan, als dass es hier auf ein paar Zeilen heruntergebrochen werden kann. Ich möchte mich auf das Buch an sich konzentrieren. Es erzählt von einem so ereignisreiches Leben, dass andere dafür vermutlich hätten 500 Jahre leben müssen.Das Positive vorweg: Man bekommt eine nahezu allumfassende Retrospektive jüdischen Lebens im 20. Jahrhundert, eine Rückschau auf die Nazibesetzung und die breit gefächerte Untergrundbewegung Frankreichs zur Zeit des zweiten Weltkriegs. Dass das ganze persönlich gefärbt ist, ist dabei sehr positiv zu bewerten - keineswegs negativ.Was mich stört ist, dass das Buch sehr non-linear aufgebaut ist. Wilde Zeitsprünge allein wären kein Unglück, aber oft wird Ausgelassenes oder Falsches nur eine Seite später dann eingeflickt oder revidiert. Es ist ja nett dass man Claude Lanzmanns Erinnerungsstruktur geradewegs folgen kann, oft aber auch einfach verwirrend. Hinzu kommt, dass die Übersetzung des Buches phasenweise unlesbare und sehr umständliche Schachtelsätze benutzt die man wirklich mehrmals lesen muss um ihren vollen Sinn zu erfassen. Auch stilistisch wirkt die Übersetzung nicht "wie aus einem Guss". Das wird glücklicherweise etwas besser in dem Teil der nicht von Wolfgang Skwara übersetzt wurde. Hier wurde meines Erachtens ziemlich schlecht lektoriert. Man könnte fast meinen der Übersetzer des ersten Teils hätte auf halbem Wege die Brocken hingeschmissen.Ein Teil des Buches muss ich neutral bewerten, da ich kein Kenner der französischen Nachkriegsphilosophie und -literatur bin. Ohne die Biographien von zumindest JP Sartre und Simone de Beauvoir im Detail zu kennen, ebenso wie ohne Detailkenntnisse der französische Geschichte des letzten Jahrhunderts, ist die Lektüre dieses Buches oft mit vielen Fragezeichnen versehen, was schade ist. Ein paar Fußnoten, eine erklärende Einleitung, ein nicht von Lanzmann stammendes Vorwort o.ä. würden den patagonischen Hasen viel leichter verdaulich machen.Im Fazit kann man sagen, dass man dieses Buch lesen sollte wenn man sich für Sartre, Frankreich und jüdisches Leben interessiert. Ist das nicht der Fall ist es vielleicht klüger, sich auf Lanzmanns Filme zu beschränken.
Trustpilot
1 week ago
1 month ago